Die Ostarbeit des Instituts in den 70er und 80er Jahren
Mitte der 70er Jahre kommt es zu einer Intensivierung der Ostarbeit des EZI. Nachdem bereits zwei Ausbildungskurse für Eheberater_innen beendet wurden, startet 1976 der dritte Ausbildungskurs. Dieser Kurs besteht aus 6 einwöchigen Kursteilen und stellt erstmals eine im Gebiet des Bundes der Kirchen der DDR kirchlich anerkannte Qualifizierung dar und schließt mit einer Prüfung ab. Insgesamt finden bis zur Wende 6 Ausbildungskurse für Eheberater_innen statt. Als vertiefendes Angebot zur Paarberatung wird ab 1986 ein Curriculum zur Paarberatung angeboten.
In den 70er Jahren startet auch eine Mentorenausbildung im Osten. Auch hier überwiegt das Prinzip Learning by Doing, da das Curriculum und der Ablauf während der Ausbildung entstehen. Aus den geplanten 3 Jahren Ausbildung werden 7 Jahre, bis schließlich die ersten Ostmentor_innen ihr Zertifikat in den Händen halten können.
Neben dieser Weiterbildung liegt ein weiterer Schwerpunkt der Ostarbeit des EZIs auf der pastoralpsychologischen Weiterbildung, die 1974 zum ersten Mal angeboten wird.
Generell lässt sich sagen, dass es den Anschein hat, dass die Fort- und Weiterbildungsangebote des EZI auf die DDR angepasst werden und sich dort dann langsam verselbständigten. Edda Blauert beschreibt dies in ihrem Beitrag zum 25jährigen Bestehen des EZI als Geschwisterdynamik, wobei das EZI der große Bruder und die Beratungsarbeit in der DDR die kleine Schwester ist.
All diese Weiterbildungen und Tagungen treffen in der DDR auf eine andere gesellschaftliche Realität, die an dieser Stelle nur im Bereich der Familie und Sexualität beschrieben werden soll:
In Ostdeutschland waren nach Herzog die Experten (Ärzte, Pädagogen, Psychologen), die in der DDR ab 1966 mit dem Aufbau der Beratungsstellen in der DDR und Fragen der Sexualität beschäftigt waren, die fortschrittlichsten der DDR, die versuchten im Sinne der Wünsche der Menschen auf die Regierung einzuwirken und die nationale Debatte über sexuelle Fragen in eine neue Richtung zu lenken. So nahmen sie wesentlich Einfluss auf die Liberalisierung des Abtreibungsrechts, darauf dass die Pille in der DDR verfügbar und akzeptiert wurde, behandelten sexuelle Funktionsstörungen und eheliche Schwierigkeiten nach amerikanischem Vorbild, führten umfangreiche Untersuchungen zum Sexualverhalten in der Ehe durch. Siegfried Schnabls Ratgeber „Mann und Frau intim“ von 1969 hatte bis 1989 höchste Verkaufszahlen.
Rechte, für die Frauen in Westdeutschland in den 70ern kämpften, waren für die Frau in Ostdeutschland praktisch selbstverständlich: das Recht auf Abtreibung, Kinderbetreuung, wirtschaftliche Unabhängigkeit und Anerkennung im Beruf. Pornografische Darstellungen waren praktisch bedeutungslos. Männer respektierten Frauen als Vorgesetzte und halfen ihren Partnerinnen im Haushalt und bei der Kindererziehung (Herzog 2005, 248 f). Die Anfälligkeit von Frühehen für Streit und Scheidungen wurden positiv konnotiert, da in ostdeutschen Ehen Frauen nicht wirtschaftlich abhängig waren und es in der DDR keinen anderen Grund für eine Heirat als Liebe gebe.
Eine erste vergleichende Studie 1988 über die sexuellen Erfahrungen von Studentinnen in Ost und West zeigte zur Verblüffung der westdeutschen Forscher, „dass die ostdeutschen Frauen mehr Spaß am Sex hatten und häufiger einen Orgasmus erlebten als ihre westdeutschen Geschlechtsgenossinnen“ (Herzog 2005, 261). Beklagten sich die westdeutschen Frauen über die männlichen Koitusgewohnheiten, deren Einfallslosigkeit und Egoismus, so kamen von den ostdeutschen Frauen solche Vorwürfe kaum. Sie erteilten dem Mann einen Laufpass, wenn er ihre Wünsche nicht erfüllte und konnten dies auch eher tun, weil sie wirtschaftlich unabhängig und als alleinerziehende Mütter akzeptiert waren: so wurde in der Endphase der DDR jedes 3. Kind außerehelich geboren, in der BRD nur jedes zehnte (Herzog 2005, 261 f). Diese Studie zeigt anschaulich, wie unterschiedlich die gesellschaftlichen Realitäten in Ost und West auf Einstellungen wirkten.
(Aus: Fernkorn, E., Haid-Loh, A., Hufendiek, S., Meyer, A., Merbach, M und Volger, I. (EZI Berlin), Bewahren und Verändern – 1964 bis 2025.Die Entwicklung der Fort- und Weiterbildung des Evangelischen Zentralinstitutes als Antwort auf gesellschaftliche Herausforderungen.)