Die Lage des Instituts

Bereits 1964 reist hauptsächlich Bertha Sommer zu 15 Veranstaltungen nach Ostberlin. 1965 finden auch dort die ersten „Ehekurse“ in „abgespeckter“ Form statt.

Hier treffen die aus dem Westen kommenden Dozentinnen und Dozenten auf eine etwas andere gesellschaftliche Realität: Vorehelicher, aber auch außerehelicher Geschlechtsverkehr wurde hier ganz selbstverständlich praktiziert. Vom SED-Regime wurde dies in der Erwartung verteidigt, dass die Kontakte tatsächlich „vorehelich“ waren und über kurz oder lang zu einer Eheschließung führen würden. „Erst als in den sechziger Jahren entstandene empirische Studien sie zwangen einzusehen, dass dem nicht so war, schwenkte auch die Parteiführung um und hielt in den siebziger Jahren die Jugend fröhlich dazu an, sorglos ihre Heterosexualität auszuleben“ - … „in dem Wunsch, die jungen Leute emotional an das sozialistische Projekt zu binden“ (Herzog 2005, S. 227).

Die wirtschaftliche Unabhängigkeit der ostdeutschen Frauen wirkte sich tief greifend auf die Machtverhältnisse zwischen den Geschlechtern aus: Ein Jahr nach Gründung der DDR (Oktober 1949) wurde im September 1950 das „Gesetz über den Mutter- und Kinderschutz und die Rechte der Frau“ erlassen. Danach wurde zwar Abtreibung generell wieder unter Strafe gestellt und nur im Falle der medizinischen oder eugenischen Indikation erlaubt. Gleichzeitig aber wurde Frauen die Betreuung vor und nach der Geburt sowie finanzielle Unterstützung staatlich zugesichert, Parallel dazu erfolgte die Aufhebung der rechtlichen Diskriminierung lediger Mütter und der Aufbau umfassender staatlicher Betreuungseinrichtungen für Säuglinge und Kleinkinder. Ziel war es, die Vereinbarkeit von Erwerbstätigkeit und Kindererziehung zu erleichtern. „Die DDR brauchte die Arbeitskraft der Frauen ebenso dringend wie ihre Fortpflanzungsfähigkeit. … Eine sexuelle Revolution fand in Ostdeutschland nicht statt“. Es vollzog sich eine „schrittweise Evolution“ der sexuellen Sitten. (Herzog 2005, 232f)

Auf die Entwicklung in den 50er und 60er Jahren (Zahl der illegalen Abtreibungen, unverheiratete Mütter im Teenageralter, Scheidungen in jungen Jahren bei Paaren, die wegen eines Kindes geheiratet hatten, Probleme der Studentenmütter) reagierte die SED-Regierung, indem sie die Ärzte ab 1965 anwies, Abtreibungen großzügiger zu handhaben und „neben der körperlichen Gesundheit der Frau auch ihr seelisches Wohlergehen zu berücksichtigen. 1966 wurden per Gesetz überall in Ostdeutschland Zentren für Ehe-, Familien- und Sexualberatung eingerichtet.“ (Herzog 2005, 243). Die auch in diesem Bereich tätig werdende Evangelische Kirche der DDR machte somit die Ostarbeit des Instituts geradezu erforderlich.

(Aus: Fernkorn, E., Haid-Loh, A., Hufendiek, S., Meyer, A., Merbach, M und Volger, I. (EZI Berlin), Bewahren und Verändern – 1964 bis 2025.Die Entwicklung der Fort- und Weiterbildung des Evangelischen Zentralinstitutes als Antwort auf gesellschaftliche Herausforderungen.)